Klare Haltung für Windenergie und Photovoltaik mit Maß, Mitte und Verantwortung für Mensch, Natur und die Schöpfung

Die Freien Wähler haben seit den ersten Diskussionen über den Ausbau regenerativer Energieerzeugung in der Region Stuttgart sich klar dazu bekannt, dass auch die Region Stuttgart einen wesentlichen Beitrag zur dezentralen Energieerzeugung leisten muss. „Wir sind eine wirtschaftsstarke und von einer hoher Einwohnerdichte gekennzeichnete Region, daher müssen wir zeigen, dass wir nicht nur von anderen fordern, dass sie für unsere Energie sorgen, sondern selbst den Beitrag leisten, der möglich ist“, war schon immer der Grundsatz der Freien Wähler. Der Sprecher im Planungsausschuss, BM Thomas Bernlöhr, zeigt in sei-ner Rede auf, dass die Freien Wähler dieser Grundüberzeugung treu bleiben und es ihnen gleichzeitig gelingt, auf Besonderheiten Rücksicht zu nehmen, um die Akzeptanz zu erhöhen. Dabei wurde das Augenmerk nicht darauf gerichtet, wo am lautesten Ge-schrien wird, sondern darauf, wo es sach-lich nachvollziehbare Kriterien gibt, die für oder gegen eine Ausweisung sprechen.

Die Freien Wähler votierten einstimmig für die Ausweisung eines weiteren Gebiets (LB-06) in Ingersheim, um ein zusätzliches Windrad neben dem bestehenden zu ermöglichen. Diese Chance zeigte dieVerwaltung erst in der Sitzung auf.

Nachfolgend die Rede in vollem Wortlaut (Lesezeit ca. 5-7 Minuten):

Herr Vorsitzender, Herr Regionaldirektor, Herr Planungsdirektor,
liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,

wir fassen heute Beschlüsse, die im Unterschied zu anderen raumordnerischen Fragen eine verbindliche und unmittelbare Wirkung auf die Nutzung von Fläche entwickeln. Das erklärt die öffentliche Aufmerksamkeit, die sich heute auf diese Sitzung richtet und die besondere Komplexität und Tiefe der Unterlagen.

Ich beginne mit der leichteren Kost: Wir Freien Wähler stimmen dem Planentwurf zur Freiflächen-Photovoltaik zu. Die enge Anlehnung der Vorbehaltsgebiete an die bundesgesetzliche Privilegierung ist naheliegend. Es gibt wohl wenige Regionalverbände mit so viel Verkehrstrassen, deshalb fällt uns das Erreichen des Flächenziels besonders leicht, wir übertreffen es um das 2,5-fache. Wir tragen die Öffnung der regionalen Grünzüge im bekannten Konzept mit und sind sicher, dass die eine oder andere Fläche entlang von großen Verkehrstrassen schneller entwickelt werden wird, als ohne dieses Planwerk.

Damit komme ich bereits zum zweiten und deutlich umfangreicheren Teil, der Windkraft. Die Vorranggebiete sind nicht nur verbindliche Ziele der Raumordnung, sondern führen direkt zur Genehmigungsfähigkeit von Windrädern. Zusammen mit der großen räumlichen Wirkung der Anlagen erklärt das, warum die Debatte um die Windvorranggebiete oft sehr energisch und zugespitzt geführt wird. Positiv gewendet: Für die Energieerzeugung in unserem Land leisten wir mit diesem Verfahren einen ganz entscheidenden Beitrag. Auch das ist ein Anliegen von uns Freien Wählern.

Die Fläche der Region ist 365.000 ha groß. Mindestens 1,8 % dieser Fläche, das haben uns Land und Bund zur Aufgabe gemacht, müssen für die Erzeugung von Windenergie reserviert werden. Es gibt wahrscheinlich keine Region in BW, in der die Ausweisung von Windvorrangstandorten so schwerfällt wie bei uns. Das hängt vor allem an der Verdichtung des Raums, an der Detailsteuerung durch verschiedenste Behörden und Zuständigkeiten, aber nicht zuletzt auch an unserer regionalen Feinsteuerung. Es hängt aber auch daran, dass wir im Unterschied zu 2015 eine quantitative gesetzliche Zielmarke haben, die weit über die damalige Kulisse hinausgeht. Nur zum Vergleich: Der qualifizierte Zwischenbeschluss, um den wir 2015 hart gerungen haben, umfasst lediglich etwa 2.500 ha, also nur grob ein Drittel des jetzigen Mindestziels.

Das legt einerseits nahe, den Landesgesetzgeber aufzufordern, die Regeln zu ändern. Andererseits hätten wir selbst auch noch viele Stellschrauben, die Mindestwindenergie, der erhöhte Abstand zu Wohngebieten. Wenn wir nun also beklagen, dass kaum mehr Spielraum für die Abwägung da ist, dann hat die Regionalversammlung durch den selbst gewählten Rahmen einen nicht unwesentlichen Anteil daran. Wir stimmen dem Antrag der FDP gleichwohl zu. Allein schon um zu unterstreichen, dass wir vor besonderen Heraus­forderungen stehen, die in anderen Regionen objektiv nicht gegeben sind.

Angesichts dieser schwierigen Randbedingungen kann sich der aktuelle Stand sehen lassen: Die 2,6 % der Flächen, mit denen wir im Oktober 2023 in die Offenlage gestartet sind, wurden durch eine Vielzahl von Fachbehörden, den Städten und Gemeinden sowie der interessierten Öffentlichkeit betrachtet, bewertet und mit einer Vielzahl von Anregungen versehen. Ich war mir persönlich unsicher, ob wir mit so wenig Puffer das gesetzliche Mindestziel überhaupt erreichen. Und ja, er ist bereits vor der Beratung ordentlich zusammengeschrumpft, . Immerhin wir sind nicht unterhalb der zu erzielenden 1,8 % Mindestfläche. Die Ausgangslage, auf dessen Basis sich der Planungsausschuss letzte Woche getroffen hat, war also spannend. Nachdem er nicht-öffentlich getagt hat, ist heute der Zeitpunkt, um die Argumentationslinien, den Prozess und die Ergebnisse der heute vorzunehmenden Abwägung inhaltlich darzustellen – im Licht der Öffentlichkeit.

Es ist in der Ausschuss-Sitzung gelungen, die Anwendung der Kriterien so zu entwickeln, dass wir nun im Ergebnis eine deutliche Veränderung am Planentwurf beschließen können, ohne dass bei der Geschäftsstelle die Warnlampen aufleuchten, weil wir uns juristisch und planerisch auf ausreichend dickem Eis unterwegs sind. Mit anderen Worten: die Kriterien sind konsistent und es werden keine unterschiedlichen Maßstäbe an gleiche Sachverhalte angelegt.

Das war zwar ein anstrengender Prozess, er hat sich aber gelohnt. Gebiete, die bisher aus Gründen des Wasserschutzes pauschal ausgeschlossen wurden, können nun potenziell im Planentwurf bleiben. Sofern bis zum Vollzug der Offenlage die zuständige Behörde erklärt, auf welchen Flächen aus Grundwassersicht für die Windkraftnutzung eine Befreiung in Aussicht gestellt werden kann, können diese in der Kulisse verbleiben. Das war unser Vorschlag und wir freuen uns, dass er ins Planwerk aufgenommen wurde. Er ist die konsequente Fortführung des Prinzips von Regel und Ausnahme, nach unserer Zählung sind 23 Vorranggebiete davon betroffen. Dieselbe Mechanik wenden wir auch beim Fachbeitrag Artenschutz der LuBW an, was zwei Vorranggebiete einschließt. Wir sind gespannt, wie viel Fläche das betrifft, bis Anfang Mai wissen wir mehr.

Wichtig bei dieser Erarbeitung von Abwägungsspielraum über die Tatbestandsseite war sowohl der Regionalpolitik als auch der Geschäftsstelle, dass diese eventuellen Flächen nicht auf unsere Summe angerechnet werden, dass sie also nicht Bestandteil der 1,8 % sind. Sie werden vielmehr separat betrachtet, wir bleiben also in jedem Fall über der Mindestmarke.

Intensiv beschäftigt haben wir uns natürlich mit der Windenergiedichte und den Abständen zu Siedlungen und Einzelhäusern, insbesondere beim Standort Ingersheim und Böblingen war dies ein wesentliches Thema. Auch hier stellt sich ja die Frage von Regel und Ausnahme. Daneben waren die Denkmäler Thema, die Solitude-Achse ist ein prominentes Beispiel dafür. Am Ende die Frage der Überlastung.

Das Kriterium der sogenannten Umzingelung ist zwar in der Rechtsprechung recht klar entwickelt, wir Regionalräte sind aber in der Abwägung freier. Wir können insbesondere in den Gemeinden, die durch die Energiewende gleich mehrfach betroffen sind, einen weiteren Blick einnehmen. In Jettingen reduzieren wir im Zusammenhang der Südlink-Umspannstation Flächen, in Bondorf herrscht unserer Meinung nach, wenn die Nutzungen hinsichtlich Energie, Verkehr und Gewerbe zusammen­genommen werden, ebenfalls eine zu starke Belastung.

Leider kann der Standort Ingersheim* mit den gewählten regionalen Maßstäben nicht aufgenommen werden. Das haben wir intensiv hinterfragt, weil neben einem bestehenden Windrad nun kein weiteres entstehen kann. Durch den eingeführten Vorbehalt hinsichtlich des Fachbeitrag Artenschutz ist die Buocher Höhe sowie eine umfangreiche Teilfläche bei Wiesensteig nun potentiell wieder Teil der Kulisse.

* Anmerkug der Redaktion: Im Laufe der Sitzung wurde von der Verwaltung ein Weg aufgezeigt, wie es gelingen kann, eine Fläche auszuweisen. Wir Freien Wähler haben daher geschlossen für diesen Standort gestimmt,weil wir einweiteres Windrad der Bürgergenossenschaft ermöglichen wollen.

Kommend von 108 Vorranggebieten und 6.985 ha stand am Ende der Vorberatung eine Summe von 91 Vorranggebieten und 6.967 ha Fläche (zuzüglich der Flächen mit dem Vorbehalt Wasserschutzgebiet und Artenschutz). Das Zwischenergebnis aus dem Planungsausschuss war wiederum der Ausgangspunkt der intensiven Beratungen in den Fraktionen. Erst auf dieser Basis ist ja die Gesamtbetrachtung möglich, wie wir im Vergleich zum Flächenziel stehen.

Die Bewertungen hinsichtlich der Standorte BB-03, BB-13, BB-14 und GP-02 und LB-01 haben uns Freie Wähler dazu bewegt,  an der Erarbeitung eines gemeinsamen Änderungsantrags mitzuwirken. Auch hier ist uns wichtig, dass wir uns klar innerhalb unseres Abwägungsspielraums bewegen und das Plankonzept weiterhin gewahrt bleibt. Es gibt jeweils gute Gründe, diese Gebiete herauszunehmen oder zu verkleinern, wenn die jeweiligen Besonderheiten betrachtet werden. Der Antrag der Grünen-Fraktion soll erkennbar ein Gegengewicht zur Reduzierung von Flächen setzen. Das finden wir dem Grunde nach sympatisch. Außer Acht bleibt dabei aber, dass mit dem Vorbehaltsmechanismus hinsichtlich Wasserschutzgebiete und Artenschutz potentiell nochmals mehrere hundert Hektar an Fläche in der Kulisse gehalten werden können. Deshalb werden wir diesem Antrag nicht zustimmen.

Das bringt mich zum Abschluss zur Frage der Aussteuerung hinsichtlich des 1,8 % Ziels. Wie viel Fläche über dem gesetzlichen Mindestziel wir heute in die zweite Offenlage nehmen, ist nur mit einer Risikoabwägung zu beantworten. Auf der einen Seite steht das Risiko von möglichen Überraschungen in der zweiten Offenlage, die zu einem Unterschreiten des 1,8 %-Ziel führen können. Auf der anderen Seite besteht das Risiko einer weiteren, dritten Offenlage, wenn wir kurz vor Satzungsbeschluss noch zu große Veränderungen vornehmen. Heute lässt sich die Antwort auf diese Frage nur mit einem Fußball-Zitatgeben: bei etwa 100 ha Puffer haben wir vom Feeling her haben wir ein gutes Gefühl.

Allen Akteuren im Planungsverfahren sagen wir: Wir haben uns mit allen Stellungnahmen in der gebotenen Sorgfalt beschäftigt. Abwägen bedeutet aber immer, gegenläufige Zielrichtungen zu vergleichen, in ihrem Gewicht zu bewerten und nach einem guten Weg unter Berücksichtigung der Argumente zu suchen. Allen Mitgliedern der Regionalversammlung danken wir für die sachlich-konstruktive und intensive Beratung.

Der Geschäftsstelle und insbesondere der Planungsabteilung rund um unseren Planungsdirektor Thomas Kiwitt gilt abschließend mein Dank für die jederzeit offene und fachlich souveräne Begleitung. Die Teiländerungen sind auch verwaltungsseitig eine Mammutaufgabe. Vorbereitung und Vollzug unserer Beschlüsse werden in großer Leistungsfähigkeit und Flexibilität umgesetzt. Nicht zuletzt haben Sie uns, lieber Herr Kiwitt, im Ping-Pong zwischen Geschäftsstelle und Planungsausschuss immer auch gezeigt, wie wir uns rechtskonform die nötige Beinfreiheit bei der Abwägung erarbeiten können. Auch das ist nicht selbstverständlich, herzlichen Dank!

Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der zweiten Offenlage und hoffen, von großen Überraschungen im weit fortgeschrittenen Stadium verschont zu bleiben. Nach der Sommerpause sind wir klüger. In diesem Sinne, entspannte Zeit bis zum nächsten und hoffentlich abschließenden Beschluss im Herbst.

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Freie Wähler in der Region Stuttgart