Städte und Gemeinden, so wichtig wie Bund und Land

Rede des Landesvorsitzenden Heinz Kälberer anlässlich der 50. Jahreshauptversammlung der Freien Wähler am 20. Mai 2006 in Heidenheim

Gemeinden sind Grundlage des demokratischen Staates
Wir feiern in diesem Jahr das 50-jährige Bestehen des Landesverbandes Baden-Württemberg der Freien Wähler.

In diesem Jahr ist aber auch unsere Gemeindeordnung 50 Jahre alt geworden. Der erste Satz in der Gemeinde ordnung lautet: „Die Gemeinden sind Grundlage und Glied des demokratischen Staates.“ Sie hat sich bewährt. Wir hatten, wie auch Bayern, schon immer die Direktwahl des Bürgermeisters durch die Bevölkerung. Erst in den vergangenen Jahren wurde diese Direktwahl in den meisten anderen Bundesländern eingeführt.

Der Bürgermeister ist mit seiner Wahl oder Wiederwahl nicht von einer politischen Ratsmehrheit abhängig, sondern von der Bevölkerung. Er kann deshalb nicht mit einer Parteiideologie leben und überleben. Das ist gut so.

Und zumindest in überschaubaren Städten und Ge meinden werden die Gemeinderäte auch nicht nach ihrer parteipolitischen Zugehörigkeit gewählt. Die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens gibt dem Bürger die Möglichkeit, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, den oder die Kandidaten zu wählen, in die er Vertrauen hat. Deshalb spielt in aller Regel auf kommunaler Ebene die parteipolitische Auseinandersetzung eine geringere Rolle als auf Bundes- und Landesebene. Die Sachfragen stehen stärker im Mittelpunkt. Die kommunalen Mandatsträger müssen sich direkt und ständig mit dem Bürger auseinandersetzen. Nach einer Untersuchung des Instituts Emnid vom Jahr 2002 sind 58 % der Bürger mit der Kommunalpolitik zufrieden, aber nur 36 % mit den Leistungen des Bundestags. Vielleicht ist es das: die Kommunalpolitiker haben mehr die Nähe zum Volk als andere Politikebenen.

Die Gemeinden sind Grundlage des demokratischen Staates
Seit ich in dem Geschäft bin, und das sind jetzt 35 Jahre, sind die Themen dieselben geblieben wie Verlagerung von Aufgaben durch den Bundes- und Landesgesetzgeber auf die Kommunen ohne einen entsprechenden Finanzausgleich, Bürokratieabbau usw.. Ich will nicht resignieren. Wir sollten durchaus anerkennen, dass das Land und unser Ministerpräsident das Thema Bürokratieabbau ernst nimmt. Wofür er allerdings auch nichts kann: „60 % der EU-Richtlinien tangieren und strangulieren inzwischen das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen. Die Rathäuser ersticken in Vorschriften, die für ein sizilianisches Dorf genauso gelten wie für einen Hegauort“, wie die Journalistin Waltraud Schwarz im „Südkurier“ schreibt.

Was in diesem Zusammenhang darüber hinaus zu kritisieren ist, dass in vielen Fällen durch nationales Recht über die EU-Regelungen noch hinausgegangen wird.

Was mich beeindruckt hat, wenn man die neue Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und FDP im Land liest: alles ist wichtig: Kultur, Sport, Feuerwehren, Landwirtschaft usw.. Es ist für einen Außenstehenden etwas schwierig, nachzuvollziehen, wie da die Nullverschuldung bis zum Jahr 2011 erreicht werden soll. Im übrigen muss auch mal gesagt werden, dass die Haushalte von Bund und Land in den vergangenen Jahren unter den Maßstäben, wie sie die Rechtsaufsichtsbehörden an die Städte und Gemeinden anlegen, nicht genehmigungsfähig gewesen wären.

Konnexitätsprinzip
Wir unterstützen die anstehende Föderalismusreform, wonach der Bund künftig keine neuen kostenträchtigen Aufgaben mehr ohne Gegenfinanzierung auf die Gemeinden übertragen können soll.

Aber: sie gilt bisher nur für neue und nicht für bereits bestehende Gesetze. Das bedeutet, dass uns Bundestag und Bundesrat zum Beispiel bei der Sozialhilfe, Hartz IV oder der Grundsicherung auch in Zukunft durch Gesetzesänderungen jederzeit neue Kosten aufbürden können. Diese Lücke muss geschlossen werden.

Was das Land betrifft, haben wir in Artikel 71 Abs. 3 unserer Landesverfassung eine Bestimmung, wonach bei der Übertragung bestimmter öffentlicher Aufgaben auf die Kommunen Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen sind. Führen diese Aufgaben zu einer Mehrbelastung der Gemeinden oder Gemeindeverbände, so ist ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen.

Das klingt zunächst gut. Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass das Mitwirkungsrecht der Kommunen in der Praxis nicht ausreicht. Wenn keine Einigung über die entstehenden Kosten erzielt wird, entscheidet das Land. Die österreichische und die bayerische Verfassung sehen für Fragen der Kostenermittlung und – Verteilung von Gesetzen Konsultationen zwischen staatlicher und kommunaler Seite vor. Wenn es in Österreich keine Einigung gibt, zahlt die Körperschaft, die das Gesetz und die Verordnung erlassen und damit die Kostenfolge ausgelöst hat.

Es kann nicht darum gehen, Entscheidungsprozesse durch lange Verhandlungen noch zu verlängern. Gegenüber heute wird es nicht länger dauern, wenn man sich etwas mehr Mühe macht, Kosten abzuschätzen und deren Verteilung zwischen Land und Kommunen zu klären.

Aber das Konnexitätsprinzip hilft auch dann nichts, wenn das Land hinterher zur Deckung des Landeshaushaltes und der Zahlungen an die Kommunen die allgemeine Finanzmasse der Kommunen zur Deckung des Landeshaushalts kürzt. Im Jahr 2005 und 2006 sind diese vorgenommenen Kürzungen mit zweimal 350 Millionen € erfolgt. In der Finanzverteilungskommission wurde den Kommunen zugesichert, dass diese Kürzungen nicht fortgeführt werden. Wir werden daran das Land an seiner Glaubwürdigkeit messen.

Irritierend sind in diesem Zusammenhang die unbestimmten Formulierungen in der Koalitionsvereinbarung.

Gemeindefinanzreform
Ein zentraler Punkt ist die Diskussion der Unternehmensbesteuerung mit der vorgesehenen Abschaffung der Gewerbesteuer. Die Vorschläge zur Reform der Unternehmensbesteuerung, die Auswirkungen auf die Gewerbesteuer und der Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer berühren 80 % des gemeindlichen Steueraufkommens. Es werden verschiedene Modelle diskutiert.

Das, was bei Hartz IV passiert ist, darf sich nicht wiederholen. Der Bund hat den Kommunen eine finanzielle Entlastung in Milliardenhöhe versprochen. Eingetreten ist das Gegenteil.

Welches Modell bei der anstehenden Gemeindefinanzreform auch immer umgesetzt wird. Es muss zwingend sichergestellt sein, dass die Auswirkungen vorher gemeindegebietsscharf berechnet werden und bezüglich dieser Berechnungen ein Einvernehmen mit den kommunalen Spitzenverbänden hergestellt wird.

Geplante Kürzung der Regionalisierungsmittel für den ÖPNV
Die vom Bund geplante Kürzung der Regionalisierungsmittel muss verhindert werden. Dafür setzt sich auch das Land Baden-Württemberg ein. Wir haben in der Vergangenheit den ÖPNV in erheblichem Umfang ausgebaut, für die Nutzung bei der Bevölkerung geworben. Und wir haben auch die Akzeptanz, was die Fahrgastzahlen zeigen, bei unserer Bevölkerung. Der Bund kann das nicht wieder gefährden. Die Folge wäre eine drastische Kürzung der Verbindungen oder eine drastische Erhöhung der Fahrgastpreise.

Bildung/Schule/Kindergärten
Ein zentraler Punkt in der Koalitionsvereinbarung ist das Thema Bildung, Schule, Kindergärten. Das ist für die kommenden Jahre eine Herkulesaufgabe. Inhaltlich gibt es zwischen dem Land und den Kommunen keinen Streit. Die zwischen der Landesregierung und den kommunalen Landesverbänden am 4. November 2005 geschlossene „Vereinbarung über Bildung und Betreuung im vorschulischen und schulischen Bereich“ ist ein positives Beispiel einer vernünftigen Zusammenarbeit und der gemeinsamen Lösung einer zentralen Aufgabe. Das Thema ist ja nicht abgeschlossen. Wir hoffen, vor allem was die Finanzierung dieser Aufgabe betrifft, auch in Zukunft auf eine partnerschaftliche Lösung mit dem Land.

Eine persönliche Anmerkung: ich meine, dass unseren Hauptschulen in Zukunft mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, dass die Schulabgänger auch von der Hauptschule nach Möglichkeit eine Lehrstelle bekommen. Dafür brauchen sie eine entsprechende Qualifikation.

Gesellschaft
Manfred Rommel schreibt in seinem Buch „Die Grenzen des Möglichen“: „Man ist gegen „Panikmache“, aber auch gegen „Verharmlosung“; gegen „Wachstumsfetischismus“, aber für höhere Löhne und Renten und eine Steigerung der öffentlichen Ausgaben für Soziales, Gesundheit, Kultur, Sport; gegen „menschenverachtende“, „arbeitnehmerfeindliche“, „kinderfeindliche“, „frauenfeindliche Politik“; gegen Landschaftsverbrauch, aber auch gegen die Wohnungsnot (wobei die Häuser auf einem Gewann gebaut werden sollen, dessen Flurname „woanders“ heißt). Alles hat Priorität. Es gilt als unerträglich, wenn die eine Aufgabe gegen die andere ausgespielt wird mit der banalen Feststellung, man könne die Mark nur einmal ausgeben. So misstönt laut eine Symphonie des Unsinns, zu der sich Bürger und Politiker gegenseitig anfeuern.

Die Summe der Ansprüche muss durch eine Summe von Pflichten ausgeglichen sein, sonst stimmt die Rechnung nicht. Der Bürger kann nicht nur Rechte einfordern, sondern muss sich auch zu Pflichten bekennen. Erst das macht ihn mündig. Reiner Egoismus deutet eher auf Untertanengeist hin, der sich in einer Demokratie nicht durch Demut, sondern durch Maßlosigkeit äußert.“ Ich denke, Manfred Rommel hat Recht. Wir dürfen nicht nur die Fehler und die Schwächen der Politik und von manchen Politikern sehen. Es ist auch unsere Aufgabe vor Ort, gelegentlich den Bürgern den Spiegel vorzuhalten. Wir müssen den Mut haben, auch gelegentlich zu sagen, dass die Eltern für die Erziehung ihrer Kinder zunächst verantwortlich sind und dass man die Defizite nicht nur unseren Schulen und Lehrern anlasten kann.
Und wenn die Bürger das „Innenstadtsterben“ mit kleinen Geschäften oder kleinen Läden in unseren Dörfern beklagen, dann muss man ihnen auch gelegentlich die Frage stellen, wo sie denn einkaufen. Da ist nicht irgendwer verantwortlich, dass ist vielfach auch das Einkaufsverhalten der Bevölkerung, die sich dann beklagt.

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Heinz Kälberer

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