Kommunale Verkehrsfinanzierung in der Sackgasse

Grün-Rot löst Versprechen nicht ein – Genervte Autofahrer und S-Bahn-Kunden

Deutschlands längste Stauzeiten auf den Strassen und eine an der Kapazitätsgrenze befindliche S-Bahn mit bedenklichen Pünktlichkeitswerten markieren die Verkehrssituation in der Region Stuttgart. Tag für Tag Tausende von genervten Kraftfahrern und verärgerten S-Bahn-Kunden. Diese Erkenntnis ist ebenso wenig neu, wie die Feststellung, dass diese Verhältnisse längst ein gravierender Standortnachteil für den wirtschaftsstarken Ballungsraumes Region Stuttgart sind. Die Landespolitik packt die Themen nicht wirklich an.

Verkehrsminister Winfried Hermann hält mit wohlfeilen Ideen dagegen. Fahrgemeinschaften mit dem PKW bilden, Radfahren, Expressbusse zwischen den Mittelzentren einsetzen, 20% weniger Kfz-Verkehr durch Verlagerung auf den ÖPNV…Auch ein Laie kann hier ermessen, dass uns dies alles einer Lösung nicht näher bringt. Radfahren in einer hügeligen Region ist eine sportliche Herausforderung und allenfalls ein Freizeitvergnügen, Expressbusse erreichen eine mittlere Besetzung von 15 bis 25 Fahrgästen und die ersten drei Linien ein jährliches Defizit von 3,5 Mio €. Bezahlen müssen dies die Kommunen.

Eine Verlagerung von 20%  des Individualverkehrs auf den ÖPNV bedeutet dort eine Kapazitätsverdoppelung. Dies ist bei der gegebenen Infrastruktur schlicht nicht machbar. Vor allem verweist der Minister mit leichter Hand auf die Kommunen und den Bund. Dort und leider nicht bei sich selbst erkennt er Handlungsbedarf. Im Gegenteil: Er kürzt die Förderquote für kommunale Verkehrsprojekte von 70% auf 50% und fordert für seine ureigendsten Aufgaben im Straßenbau und ÖPNV mehr Mittel aus Berlin. Nur am Rande sei erwähnt, dass man in den letzten Jahren solche Gelder sogar verfallen ließ, weil man Projekte nicht vorangetrieben hat. 

Verkehrspolitik durch Andere soll von der eigenen Konzeptionslosigkeit ablenken. Ein Filderbahnhof im Zuge von S-21, dem jede Zukunftsfähigkeit abgeht, wird sehenden Auges in Kauf genommen, eine Planung für die kritische Straßensituation im Nordosten der Region verschwindet in der Schublade, der motorisierte Individualverkehr, mit dem nach wie vor 80% der Fahrten in der Region abgewickelt werden,  wird zum Feindbild erklärt. Nachvollziehbare Perspektiven für den Straßenbau und den ÖPNV gibt es nicht.

Im Verkehrsausschuss des Verbands Region Stuttgart bemühen wir uns trotz dieser Misere im Rahmen unserer Aufgabenträgerschaft für die S-Bahn nach Kräften, dieses Verkehrsmittel, mit dem täglich fast 400 000 Menschen bei steigender Nachfrage unterwegs sind, fortlaufend zu ertüchtigen. Zwei aktuelle Beispiele sollen die Schwierigkeiten aufzeigen, mit denen wir derzeit konfrontiert sind.

Beschaffung von 10 weiteren S-Bahn-Fahrzeugen und Qualitätsverbesserung 

Wenn wir bei der S-Bahn die Unpünktlichkeit bekämpfen wollen, zusätzliche Behängungen wegen Überfüllung anstreben, dichteren Takt bestellen und neue Strecken anvisieren, brauchen wir mehr Züge. Diese Verbesserungen kosten Geld für Invest und Betrieb. Die Bahn lässt sich diese Zusatzleistungen und die dafür benötigten Züge zu 100% bezahlen.

Die Einführung des Spätverkehrs, ein durchgehender Nachtverkehr am Wochenende und die Ausweitung des 15-Min.-Taktes in der Hauptverkehrszeit werden mittelfristig 4,7 Mio € jährlich kosten. Kommunales Geld, das über Umlage eingesammelt wird.

Die Bezuschussung der dafür benötigten 10 Züge wird sich auf ca. 82 Mio. € belaufen. Wir müssen dem Vertrag der Bahn mit der einzig dafür in Frage kommenden Firma Bombardier zustimmen, weil wir dafür keine Alternative sehen.

Die Zulassung der einzigen, systembedingt dafür in Frage kommenden Fahrzeuge ET 430 läuft 2017 aus. Wir sind, obwohl der Preis für die Fahrzeuge nach unserer Einschätzung überhöht ist, an die Firma gebunden. Das Vorgehen hat Züge eines Knebelungsvertrages.

Das Ganze abzublasen hieße aber: 15 Jahre lang keine Verbesserungen, keine Netzerweiterungen und trotz zunehmender Nachfrage einen Stillstand bei der S-Bahn, dem Rückgrat des ÖPNV in der Region. Und dies auf nicht absehbare Zeit.

Ärgerlich bleibt außerdem, dass unsere S-Bahn das einzige kommunalfinanzierte Regionalverkehrssystem dieser Dimension im Land ist. Die sich daraus ergebenden kommunalen Lasten sind gravierend. Landesweit, auch bei der Rhein-Neckar S-Bahn, tritt das Land als Finanzierer und Besteller auf. Bei der Region Stuttgart wird nicht einmal über einen Zuschuss nachgedacht. Eine Ungerechtigkeit, die wir seit Jahren, ohne Resonanz, beklagen.

S-Bahn nach Neuhausen 

Das derzeit einzige umsetzbare Projekt beim Ausbau des S-Bahn-Netzes ist die Verlängerung der S 2 von Bernhausen nach Neuhausen. Nach neuesten Hochrechnungen ergeben sich Gesamtkosten von 125 Mio. €. Vom Bund erwarten die kommunalen Träger 62 Mio. € und vom Land 20 Mio. €. Die Fertigstellung soll 2021 erfolgen.

Das Ganze hat jedoch einen entscheidenden Haken. Das Bundesprogramm für kommunale Verkehrsbauten läuft 2019 aus. Eine Nachfolgeregelung ist nicht in Sicht. Der Bund will sich im Rahmen der Föderalismusreform aus der Mischfinanzierung für kommunale Projekte zurückziehen und diese Aufgabe den Ländern überlassen. Das Land hat dafür noch kein Konzept. Selbst wenn der Bund den Ländern eine höhere Einkommensteuerbeteiligung zubilligen sollte, trifft das Projekt Neuhausen auf eine Landesförderung von lediglich noch 50%. Eine viel zu geringe Förderquote, mit der vielleicht Pedelecstationen, nicht aber kommunale Großprojekte  finanzierbar sind.

Trotz dieser düsteren Vorzeichen werden sich die Region, der Landkreis Esslingen und die beteiligten Gemeinden entschließen, das Projekt bis zur Planfeststellungsreife fortzuführen und dafür mit hohem Risiko 5,5 Mio. € für Planung in die Hand nehmen. Eine endgültige Entscheidung über den Bau oder die Einstellung, kann erst 2017 gefasst werden.

Fazit 

Bund und Länder ergehen sich in ewigen Streitereien über Finanzausgleich und Steuerbeteiligungen. Die Folge ist völlige Perspektivlosigkeit. Einen Plan, wie die Verkehrsfinanzierung in Baden-Württemberg nach 2019 aussehen soll, gibt es nicht. Die Kommunen sehen sich mit ihrem Bemühen um Verkehrsverbesserungen und dem Anschieben wichtiger Verkehrsprojekte alleingelassen. Sie sind wie die geschilderten Beispiele eindrücklich zeigen, mit dieser Aufgabe unter den gegebenen Bedingungen schlicht überfordert. Statt einer verlässlichen Förderung werden die Kommunen hingehalten, ja im Stich gelassen.

Ein Kurswechsel ist überfällig. Nicht nur der Investitionsstau, auch steigende Anforderungen an Luftqualität und Klimaschutz verlangen eine Modernisierungsstrategie für die Verkehrsnetze in Stadt und Land. Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist zudem eine wichtige Voraussetzung für die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft, für Wachstum und Beschäftigung. Die Situation in unserem Ballungsraum lässt grüßen.

 

 

 

 

 

 

 

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