S-Bahn-Paket: Regionalversammlung geht mit dem Kopf durch die Wand

Mehrheit setzt sich über objektive Bedenken hinweg – Selbst der VCD ist wegen der Betriebsstabilität skeptisch

Die Mehrheit aus den Parteifraktionen in der Regionalversammlung wollte ein politisches Signal setzen. Vermutlich beginnt man auch schon früh, Wahlgeschenke zu verteilen. Die Einführung des 15-Minuten-Takts und weitere Verbesserungen werden ab 2020 jährlich 21 Mio. € kosten. Zu zahlen von den Landkreisen bzw. den Städten und Gemeinden, die die Last letztlich über die Kreisumlage zu tragen haben. Das Erwachen wird kommen, wenn die Steuerquellen nicht mehr so üppig sprudeln und Geld für andere wichtige Maßnahmen fehlt.

Die Fraktion Freie Wähler spricht sich ausdrücklich für sinnvolle Verbesserungsschritte aus, um das völlig überforderte Straßennetz etwas zu entlasten. Die Frage ist allerdings, ob das schon jetzt an der Stabilitätsgrenze fahrende S-Bahn-System das auch verkraften kann.

Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum sich die Regionalversammlung angesichts vieler offener Fragen und ungeklärter Finanzierung so früh festgelegt hat. Es wäre noch ausreichend Zeit gewesen, einen sinnvollen Schritt nach dem anderen zu tun. Für den Vorsitzenden der Fraktion, Oberbürgermeister Andreas Hesky, stellen sich nach dem Beschluss weiterhin folgende fragen:

  • Weshalb wurden keine qualifizierten Untersuchungen zum Bedarf angestellt?
  • Warum wurden keine Betriebssimulationen angestellt um zu klären, ob das Netz ausreichend Kapazitäten hat?
  • Warum wurden nicht vorher die Finanzierungsfragen (Überlassung von Regionalisierungsmitteln) mit dem Land geklärt?
  • Was ist der Grund, warum man nicht die Landkreise eingebunden hat, die sowohl die Verkehrsumlage aufbringen als auch die Anschlussbedienung gewährleisten müssen?

Der Sprecher der Fraktion in der Regionalversammlung, Landrat a.D. Bernhard Maier, hat dazu in der Sitzung am 28. September die Beweggründe für eine teilweise Ablehnung des Beschlussvorschlags wie folgt dargelegt:

„Die Einführung eines ganztägigen Viertelstundentaktes auf der S-Bahn, wie er heute in Stufen beschlossen werden soll, ist die umfangreichste und teuerste Verbesserungsmaßnahme seit es den VRS gibt.

Es ist unsere letzte namhafte Möglichkeit, auf diesem Feld zu Verbesserungen zu kommen, eine sorgfältige Prüfung tut Not.

Eigentlich sollte das Ganze im Schnelldurchgang schon im Verkehrsausschuss am 14.9. abgesegnet werden. Auf unseren Vertagungsantrag, verbunden mit einigen Fragen, wurde das Thema vom Vorsitzenden abgesetzt, mit der Zusage, es in der Reg,Vers. erneut aufzurufen. Allerdings nur um einen Grundsatzbeschluss zu fassen, und danach die Fragen abzuarbeiten. Unser Antrag hatte sich dadurch zunächst erledigt.

Was wir heute vorfinden ist die ursprüngliche Beschlussfassung, ein Durchführungsbeschluss, ohne auf unseren Antrag und die aufgeworfenen Fragen auch nur im Ansatz einzugehen. Eine gelinde gesagt: seltsame Vorgehensweise. Sorgfalt sieht anders aus. Damit lebt unser Antrag wieder auf und steht auch heute zur Abstimmung.

Weil man hier leicht in die Ecke eines Gegners gedrängt wird, wenn man nur Fragen stellt, will ich eingangs folgendes bemerken:

Die Entwicklung der S-Bahn mit einer Steigerung der Fahrgäste um 50% in 10 Jahren ist erstaunlich und erfreulich. Während viele dies auf eine Steigerung des Angebots zurückführen, kommt der größte Anteil der neuen Fahrgäste aus Umsteigern, die versuchen dem unsäglichen Stau auf der Strasse zu entgehen. Sie wechseln von einem ungenügenden System Straße auf ein von der Grundanlage her umfangreiches System S-Bahn. Machen wir uns nichts vor, man muss nur auf die zurzeit nicht akzeptablen Pünktlichkeitswerte der letzten Tage blicken, das Betriebssystem S-Bahn ist an der Grenze der betrieblichen Stabilität. Auf der Straße geht nichts und auf der Schiene gibt es zu viele Störungen, das sind die Aushängschilder unserer Wirtschaftsregion…

Trotzdem, nachdem nach Lage der Dinge auf der Strasse bei der herrschenden Politik keine Verbesserungen zu erwarten sind, sind realistischerweise zu einer Verbesserung der Situation in der Region nur Maßnahmen bei der S-Bahn anzustreben. Das sehen auch wir so. Insofern sind wir keine Gegner von Verbesserungen, sondern Anhänger des Grundsatzes, bevor eine solch teure und weitreichende Maßnahme (wir reden immerhin von 21 Mio. € jährlich) eingeführt wird, etwas genauer hinzuschauen und Fragen zu stellen, bevor wir in einem Schnellschuss die letzte Patrone für Verbesserungsmaßnahmen verschießen.

Zu den Fragen, von denen wir vor einer Beschlussfassung eine Antwort erwartet haben:

  • Wie beteiligt sich das Land verbindlich mit Regionalisierungsmitteln an diesen Verbesserungsmaßnahmen?

 

Die S-Bahn ist eine klassische Landesaufgabe und wurde mit Gründung des VRS kommunalisiert. Es ist die Pflicht des Landes, seiner Kernregion aus der geschilderten Misere zu helfen, um die Kommunen zu entlasten. Die Verwaltung berichtet lediglich von „Gesprächen“ und hat vor zwei Tagen auch

Zahlen vorgelegt, die zwar Hoffnung machen, aber leider nur auf einer Annahme basieren. Wir berauben uns mit dem heutigen Beschluss einer wichtigen Verhandlungsposition gegenüber dem Land und beschließen ohne die Kostenfolgen zu kennen.

  • Wie hoch sind die Fahrgeldanteile (Vorabzuscheidungen) der Region aus diesen Verbesserungsmaßnahmen?

Hierzu sind Verhandlungen mit dem VVS und den Verbundpartnern zu führen. Gewinner ist zunächst nur die Bahn, mit einem neuen Auftrag in Millionenhöhe, deren Gewinne durch Fahrgaststeigerungen und Fahrpreiserhöhungen sich aus einem für sie vorteilhaften Vertrag in den letzten Jahren ohnehin überproportional erhöht haben, übrigens in gleichem Maße wie die Qualität gesunken ist.     

  • Ist die Bahn überhaupt in der Lage, bei der gegebenen maroden Infrastruktur und den offenkundigen Überlastungserscheinungen einen durchgängigen 15-Min-Takt zu fahren?

Wir haben heute schon in der Hauptverkehrszeit erhebliche Probleme in der betrieblichen Stabilität. Verspätungen werden in der Schwachlastzeit abgebaut. Diese Möglichkeit entfällt zukünftig. Wie reagiert die Bahn darauf, gibt es eine Betriebssimulation, ist sie bereit neben einem neuen Millionenauftrag auch erhöhte Strafzahlungen gegenüber den bisherigen „Trinkgeldern“ zu akzeptieren? Wir sind im Begriff ein geschwächtes Pferd zu Tode zu reiten.

  • Gibt es einen echten Bedarf für einen ganztägigen 15-Min Takt?

Eine fundierte Bedarfsprüfung haben wir bisher nicht gesehen, wir sehen aber außerhalb des Stadtgebietes der Landeshauptstadt in den Schwachlastzeiten häufig leere S-Bahnzüge. Wir sind im Begriff einem relativ leeren Zug, z.B. um 11 Uhr vormittags, 15 Min. später einen weiteren leeren Zug hinterherzuschicken.

  •  Was sind die Konsequenzen aus diesem Beschluss für die Anschlussverkehre im Verbund und für die Regionalexpresslinien des Landes?

Noch in der letzten ‚Sitzung der Regionalversammlung haben wir gemeinsam die neue Kooperation aus dem ÖPNV Pakt als neues Zeitalter gelobt. Jetzt wird hier, ohne Kontakt mit den Verbundpartnern, ein völlig neues Betriebskonzept, mit erheblichen Auswirkungen auf die Anschlussverkehre beschlossen. Die Kostenfolgen für die Kreise mit den Nebenbahnen und den Bussen sind erheblich. Die Folgen für die Regionalverkehre nicht bekannt. Was sagen das Land, die LHS und die Kreise dazu? Ein erstes Stimmungsbild hat ja das Schreiben der Landräte gegeben.

Das sind nur die wichtigsten Fragen, die uns zu diesem Beschluss auf den Nägeln brennen. Eine Antwort darauf gibt es nicht. Ich sage ganz offen, es ist mir ein Rätsel und ich habe es in meiner langjährigen kommunalen Gremienpraxis noch nicht erlebt, wie gestandene Fraktionen in Kenntnis dieser Probleme die Augen vor der Realität verschließen und nach dem Motto „Augen zu und durch“ vermeintliche Wohltaten beschließen. Solange unsere Fragen nicht befriedigend beantwortet sind, besteht Grund zur Sorge, dass diese Wohltat rasch zur Plage wird. Wir fürchten, wir müssen Sie bei Gelegenheit daran erinnern.“

Auch die Landkreise hatten sich gegen das Schnellschussverfahren ausgesprochen und die fehlende Einbindung moniert. Die Fraktion Freie Wähler im Landkreis Böblingen hatte dazu einen Antrag eingebracht, den Sie hier aufrufen können.

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